• «Hier habe ich als Witwer eine neue Gemeinschaft gefunden»

    14 Personen sitzen an diesem frostigen Januarabend im Gemeinschaftsraum der Hausgemeinschaft 55plus im Erdgeschoss der Siedlung Im Schuppis II. Zwei Königskuchen liegen auf dem Tisch, auf der Kücheninsel gleich nebenan stehen Häppchen und Wein bereit.

    ZS. Es ist die erste Hausversammlung des Jahres, vier Traktanden hat Sitzungsleiterin Verena Haab traktandiert: Dekoration der Gemeinschaftsräume, Rückblick auf die Veranstaltungen 2023, Vorausblick auf die Anlässe 2024 und die Mängelliste. Routiniert führt Verena Haab durch die Sitzung, hält die Uhr im Blick, beantwortet Nachfragen. Ab und zu mahnt ein Glöcklein zur Eile. Es geht um die Anschaffung eines Spiegels für das Bastel- und Spielzimmer, um Fotopinnwände im Gemeinschaftsraum, den Halloween- und den Adventsanlass, Ideen für Spielnachmittage mit gemeinsamem Znacht, einen Osterbrunch und den möglichen Kauf einer Feuerschale. Obwohl nicht in allen Punkten sofort Einigkeit herrscht, ist die Stimmung locker. «Warum brauchen wir einen Spiegel, ich muss meine Falten nicht noch öfter sehen», sagt eine Frau. Gelächter, dann bimmelt das Glöckchen. Rasch finden sich in den Diskussionen Kompromisse, schnell werden Freiwillige gefunden, die Aufgaben und Abklärungen übernehmen oder bei der Organisation von Anlässen helfen. Die Vorfreude auf den nahenden Apéro ist spürbar.

    Fast könnte man denken, die Hausgemeinschaft kennt sich schon seit Jahrzehnten. Doch das ist nicht der Fall: Im März 2022 erst organisierte die BGZ eine Infoveranstaltung für Menschen ab 55 Jahren, die es sich vorstellen konnten, in der Neubausiedlung Im Schuppis II in einer Hausgemeinschaft zu leben. «Der Infoanlass war sehr gut besucht, ungefähr 130 Personen haben teilgenommen. Wir mussten sogar vom Gemeinschaftsraum in das Kirchgemeindehaus wechseln, weil sonst nicht alle Platz gefunden hätten», erinnert sich Laura Heidelberger vom Fachbereich Zusammenleben. Wer nach dem Anlass Interesse hatte, konnte ein Formular mitnehmen und wurde dann zu einem Gruppengespräch zusammen mit zwei bis drei anderen Parteien eingeladen. «Es war uns wichtig, dass sich die Menschen auf Deutsch verständigen konnten und wirkliches Interesse am gemeinschaftlichen Wohnen zeigten.» In den 16 altersgerechten Wohnungen wohnen heute 19 Personen. Sie teilen sich mehrere grosszügige Gemeinschaftsräume. Drei Monate vor dem Einzug fand ein Willkommensanlass statt, im April 2023 war die grosse Züglete. «Einen Monat nach dem Bezug habe ich alle zu einer Einweihungsveranstaltung eingeladen. Seither organisiert sich die HG selbständig. Ich bin zwar manchmal an den Sitzungen noch dabei, aber eigentlich läuft das super gut auch ohne mich», sagt Laura Heidelberger.

    Neben den offiziellen Anlässen und Sitzungen treffen sich die Bewohnenden auch oft informell oder chatten in der HG-WhatsApp-Gruppe. «Wir gärtnern zusammen, essen gemeinsam Znacht, helfen uns gegenseitig bei einem Transport oder wenn jemand krank ist», sagt Silvia Jockers. Die gegenseitige Hilfe werde sehr geschätzt, sei aber keine Verpflichtung. Ein Pflegeheim auf ehrenamtlicher Basis solle die HG nicht werden. Überhaupt ist von Pflegeheim-Stimmung keine Spur zu spüren, im Gegenteil sprüht die HG vor Energie. Viele Bewohnende besuchen die Siedlungsanlässe oder helfen selbst mit in der Organisation. Barbara Popp beispielsweise hat als Sozialpädagogin lange Zeit mit Kindern gearbeitet und betreut heute das Kinderkochen der jüngsten Schuppis-Mitglieder.

    Und doch: Es ist ein Zusammenleben in der zweiten Lebenshälfte, die Bewohnerinnen und Bewohner werden gemeinsam älter. Bereits ist ein Mitglied der Hausgemeinschaft verstorben, ein anderes in ein Pflegeheim umgezogen. «Wir altern zusammen, mit allem, was dazugehört», sind sie sich einig. Abschiede seien ein Teil davon. Umso wichtiger sei das Jetzt und das Zusammensein, in der Hausgemeinschaft, in der Siedlung und im Quartier. Dass sie dazu auch aktiv beitragen wollen, ist für alle selbstverständlich. «An Halloween haben wir uns verkleidet und den Gang im Gemeinschaftsraum gruselig dekoriert. Den Kindern haben wir mit Süssigkeiten gefüllte Gummihandschuhe abgegeben», erzählt Uschi Käser begeistert. Der Anlass sei sehr gut angekommen. Laura Heidelberger ist überzeugt, dass eine in eine Siedlung integrierte Hausgemeinschaft für ältere Menschen eine Win-Win-Situation für alle darstelle. «So eine HG 55plus kann für das Zusammenleben in einer Siedlung ein richtiger Motor sein. Die älteren Mieterinnen und Mieter haben oft mehr Zeit, sich einzubringen. Und Lebenserfahrung sowieso. Sofern Offenheit auf allen Seiten besteht, ist das ein riesiger Gewinn.»

    So weit in die Zukunft blicken wollen die Bewohnerinnen und Bewohner der HG noch nicht. «Ich möchte jetzt die Gemeinsamkeit leben und uns für die weitere Entwicklung Zeit lassen», sagt Silvia Jockers. Und Barbara Popp meint: «Wir wohnen noch kein Jahr zusammen, sind immer noch in der Aufbauphase. Ich wünsche mir, dass wir uns auch weiterhin gut vertragen und kein Lämpe haben.» «Und dass unsere Wände im Gemeinschaftsraum nicht mehr so leer sind», ergänzt Uschi Käser. Heinz Käser – trotz gleichem Nachnamen sind die beiden nicht verwandt – wird nachdenklich. «Seit drei Jahren bin ich verwitwet. Hier in der HG habe ich eine neue Gemeinschaft gefunden. Ich fände es schön, wenn wir wie eine Familie zusammenwachsen.»